Europäische Perspektiven

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Was kann die EU gegen Nötigung im Handel tun?

Europäische Perspektiven

Auf dem Weg zu einer durchsetzungsfähigeren EU-Handelspolitik

Eine durchsetzungsfähigere EU-Handelspolitik ist keine gute Nachricht für britische Exporteure. Da sie außerhalb der EU angesiedelt sind, könnten sie in Zukunft den Anti-Zwangsmaßnahmen ausgesetzt sein, die die EU-Kommission jetzt entwickelt. Das Risiko ist umso höher angesichts der vielen Unsicherheiten, die das im Dezember eilig abgeschlossene Handels- und Kooperationsabkommen (TCA) hinterlassen hat.

Die Exporteure wissen, dass sie weiterhin die EU-Vorschriften einhalten müssen, um Zugang zum EU-Binnenmarkt zu erhalten. Sollte es zu Unstimmigkeiten kommen, wird der im TCA vorgesehene Schlichtungsmechanismus genutzt. In der Rhetorik der britischen Regierung verbirgt sich die Vorstellung, dass die Wiedererlangung der Souveränität auf dem Papier in der Praxis dasselbe impliziert. Wenn also aus politischen oder anderen Gründen keine Einigung erzielt werden kann, könnte die Versuchung bestehen, den USA oder China nachzueifern und zu versuchen, die EU zu ignorieren oder sogar zu etwas zu zwingen. Neue Instrumente, die im Oktober im Europäischen Parlament angekündigt wurden und nun in Brüssel entwickelt werden, werden dieses Wunschdenken verstärken.

Nötigung ist im internationalen Handel auf dem Vormarsch, seit die US-Regierung unter Präsident Trump die Arbeit des Multilateralen Streitbeilegungssystems blockiert, wenngleich auch China schon länger ein breites Arsenal an Maßnahmen einsetzt, um Unternehmen und Länder zu nötigen. Dies kann verschiedene Formen annehmen, wie z.B. Handels- und Investitionsbeschränkungen, diskriminierende Importsteuern, Verweigerung von Genehmigungen für Unternehmen, absichtliche Verzögerung von Handelsströmen und sogar persönliche Drohungen. Internationales Recht wird verletzt, oder nationales Recht wird in diskriminierender Weise angewendet. Die vielleicht offenste Form der Nötigung sind die von den USA einseitig verhängten extraterritorialen Sanktionen.

Bei ihrem Amtsantritt kündigte die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, dass die Geopolitik fortan eine größere Rolle in ihrer Politik spielen werde. Während der Pandemie fanden die Forderungen der Regierungen nach mehr strategischer Autonomie der EU ein offenes Ohr. Die Versuche der britischen Regierung, sich über frühere Vereinbarungen hinwegzusetzen und aktuell ihre einseitige Entscheidung bezüglich des nordirischen Grenzhandels verstärkten die Ansicht, dass etwas getan werden muss. Immer mehr Länder sind versucht, ihre Verpflichtungen aus internationalen oder bilateralen Handelsverträgen zu missachten oder zu ignorieren. Dies schadet nicht nur den kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen der EU, sondern untergräbt auch das Grundprinzip einer regelbasierten internationalen Ordnung, das sich die 27 Regierungen und die Kommission weitgehend teilen.

Dies hat nicht nur politische Gründe; die wirtschaftlichen Wertschöpfungsketten, die sich über den Binnenmarkt erstrecken, implizieren, dass die Mitgliedsstaaten ein Eigeninteresse daran haben, zusammenzustehen, wenn versucht wird, Zwang auszuüben. Wenn strategische Souveränität etwas bedeuten soll, braucht die EU ein umfassendes handelspolitisches Schutzinstrumentarium mit einer Vielzahl von Mechanismen und einem klaren Bekenntnis zur gegenseitigen Solidarität. Allein das Vorhandensein dieses Instrumentariums kann andere davon abhalten, leichtfertig Zwang anzuwenden, wird der EU helfen, Einfluss zu gewinnen und gleiche Wettbewerbsbedingungen im Einklang mit der Welthandelsorganisation und dem internationalen Recht zu gewährleisten. In einem Bericht der High Level Group on Trade Policy Innovation heißt es, dass die globalen Wertschöpfungsketten der Wirtschaft und die zunehmende geopolitische Verflechtung ein umfassendes, offenes Konzept der strategischen Autonomie erfordern, einschließlich eines Instrumentariums möglicher Maßnahmen und Gegenmaßnahmen.

Ein weiterer Grund, neue Mechanismen gegen Nötigung zu entwickeln, ist, dass die bilateralen Freihandelsabkommen der EU zunehmend durchsetzbare Regeln zu Nachhaltigkeit, Klima oder sozialen und Menschenrechten enthalten. Diese werden jedoch von anderen Regierungen manchmal als EU-Zwang empfunden, und in letzter Zeit wurden von einigen Ländern wie Brasilien Drohungen mit Gegenmaßnahmen ausgesprochen.

In Brüssel werden verschiedene Instrumente mit zwei Hauptzielen erwogen: andere Länder abzuschrecken und die Auswirkungen ihrer Nötigungsversuche/Maßnahmen zu minimieren. Die EU verfügt bisher nicht über ein rechtliches Instrument, um auf Verletzungen der nationalen Souveränität und ihrer wesentlichen wirtschaftlichen Sicherheitsinteressen durch Dritte mit Werkzeugen wie Handelsinstrumenten, Sanktionen, stark erweiterten Exportkontrollen oder anderen extraterritorialen Maßnahmen zu reagieren. Die handelspolitischen Kompetenzen der EU sollten auch die handelspolitische Verteidigung einschließen, daher wird ein kollektiver handelspolitischer Verteidigungsmechanismus in Betracht gezogen, der mit ähnlichen Kontrollmechanismen zwischen Kommission und Rat arbeitet wie die Handelspolitik selbst (über den im Vertrag verankerten Ausschuss für Handelspolitik). Er würde die Kommission ermächtigen, Vergeltungsmaßnahmen gegen Nicht-EU-Länder zu ergreifen, die Zwang ausüben. Natürlich müssen Methoden zur Bewertung der Kosten von Zwangsmaßnahmen entwickelt werden, um gezielte Gegenmaßnahmen planen zu können und gleiche Wettbewerbsbedingungen wiederherzustellen.

Zugleich wird über eine Europäische Exportbank als wichtiges Instrument gesprochen, das es europäischen Unternehmen erleichtert, außerhalb der Kontrolle des amerikanischen Office of Foreign Assets Control (OFAC) und des US-Dollars zu operieren. Die Rolle, die die US-Währung spielt, ist ein großes Hindernis für global handelnde Unternehmen, um einseitige US-Sanktionen zu umgehen, wie im Fall des Irans, während das OFAC dafür bekannt ist, Unternehmen und Einzelpersonen gleichermaßen zu zwingen, wie im Fall der North Stream II-Pipeline zwischen Russland und Deutschland.

Ein spezieller Bereich für zukünftige Maßnahmen betrifft den Datenschutz. EU-Unternehmen sehen sich einem wachsenden Druck von Nicht-EU-Behörden (vor allem USA und China) ausgesetzt, sensible Geschäftsdaten unter verschiedenen Vorwänden – vage definierte nationale Sicherheit oder Terrorismusbekämpfung – an sie zu übertragen. Eine EU-27-Behörde könnte europäische Unternehmen schützen, indem sie von ihnen verlangt, für bestimmte sensible Datentransfers in Drittländer eine Genehmigung einzuholen. Die EU-Datenschutzgrundverordnung (GDPR) hat sich zu einer wegweisenden Regelung für den Datenschutz entwickelt, aber es ist klar, dass die Nutzung und der Missbrauch von Daten durch eine immer stärkere Durchdringung der IT jetzt viel umfassendere Schutzmaßnahmen erfordert.

Kürzlich hat die EU Fortschritte bei der Einigung auf ein persönliches Sanktionssystem gemacht. Die EU-Mitgliedsstaaten haben oft Schwierigkeiten, einen Weg zu finden, um auf Gegenseitigkeit zu reagieren, wenn Drittländer Sanktionen zur Bestrafung von Personen und Organisationen einsetzen. Persönliche Sanktionen, darunter Reiseverbote, das Einfrieren von Vermögenswerten und das Verbot, wirtschaftliche Ressourcen bereitzustellen, gibt es jetzt für schwere Menschenrechtsverletzungen. Sie könnten aber auch zu einem Instrument in der Handelspolitik werden, insbesondere gegenüber China (das sich nicht abgeneigt gezeigt hat, Personen ins Visier zu nehmen, wie etwa die inhaftierten kanadischen Diplomaten). Es wäre wichtig, dass sich Länder des EWR daran beteiligen (Norwegen, Schweiz) und sich mit anderen gleichgesinnten Ländern (Großbritannien, USA) abstimmen.

Der Gesetzgebungsprozess hat in Brüssel mit einer ersten Folgenabschätzung und einem Konsultationsprozess der Interessengruppen begonnen. Ein Maßnahmenpaket wird jedoch nicht lange auf sich warten lassen, da für die EU hohe politische und wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel stehen.

Dr. Stefan Schepers

Dr. Stefan Schepers ist Gastprofessor für Europastudien an der Henley Business School und Generalsekretär der Arbeitsgruppen für Innovation in der EU-Politik.