Europäische Perspektiven

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Die direkten Auswirkungen des Brexit auf den Handel

Europäische Perspektiven

Brexit oder der Marsch des Wahnsinns?

Aushandeln einer Vereinbarung

Die Entscheidung, die EU zu verlassen, war eine demokratische Entscheidung, auch wenn sich Fragen zu den Mitteln stellen mögen, mit denen diese Entscheidung herbeigeführt wurde. Der Verhandlungsprozess zur Umwandlung dieser Entscheidung in einen rechtlich klaren und sicheren Vertrag zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ist eine andere Sache. Es hätte ein geordneter und gut geplanter Prozess sein können; stattdessen hat ein Deal in letzter Minute zu einem sogenannten Handels- und Kooperationsabkommen (TCA) geführt, das alles andere als klar und sicher ist.

In den Jahren seit dem Referendum hat die britische Regierung die Kohärenz der verbleibenden EU-Mitglieder spektakulär verkannt, einfach weil für sie die Rechtsstaatlichkeit und die Integrität des Binnenmarktes, von dem ihre Volkswirtschaften abhängen, absolute Priorität hatten. Der britische Verhandlungsansatz konzentrierte sich mehr auf taktische Manöver als auf substanzielle Vorschläge, und er scheiterte. Nimmt man die absichtliche Vergiftung der Verhandlungsatmosphäre und die Untergrabung des Vertrauens hinzu, dann bekommt die Wirtschaft jetzt eben das: einen Vertrag mit starker Asymmetrie und einem hohen Maß an Unsicherheit; obendrein einen instabilen Rahmen, da er in fünf Jahren überarbeitet werden kann – möglicherweise zeitgleich mit der nächsten Wahl in Großbritannien. Investitionsplaner werden die politischen Risiken sicherlich bemerken.

Die Auswirkungen auf die Geschäftswelt

Trotz des TCA entstehen in der Praxis neue Handelshemmnisse, und aller Wahrscheinlichkeit nach werden diese zwischen eng miteinander verflochtenen Märkten weiter zunehmen. Politisches Getue um neue Handelsabkommen mit weit entfernten Ländern wird den vielen Unternehmen, die hier und jetzt betroffen sind, nicht weiterhelfen. Ein Exporteur von Haushaltsgeräten aus der EU stellte fest, dass alle Energieetiketten ersetzt werden mussten, einfach weil der Zoll darauf bestand, dass sie nun eine britische Flagge anstelle der EU-Flagge tragen müssen, ungeachtet der Tatsache, dass sich die Energieanforderungen selbst nicht geändert hatten.

Dies geschieht, noch bevor vollständige Importkontrollen eingeführt wurden. Zweifellos werden kleine Unternehmen noch mehr leiden als große. Ebenso die Verbraucher, denn die zusätzlichen Kosten werden an sie weitergegeben, wenn nicht sogar an die Aktionäre, was in diesem Fall die Rentabilität und die Innovationskapazitäten verringert.

Währenddessen beginnen andere Länder, die Vorteile des Brexit zu genießen. Lagerhäuser werden von britischen Firmen, die sich auf dem Kontinent niederlassen, voll ausgelastet, und auch Finanzdienstleister siedeln sich an, um weiterhin vom Binnenmarkt und der Wirtschafts- und Währungsunion (Eurozone) zu profitieren. Während sich in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit auf Nordirland richtete, das Gefahr lief, Opfer einer hastig zurückgezogenen Beschränkung der EU-Kommission für den Export von Impfstoffen zu werden, eröffnen irische Fährgesellschaften neue Linien mit dem Kontinent, um Großbritannien zu umgehen.

Da das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitglied des Binnenmarktes und der Zollunion ist, besteht nun eine harte Grenze zur EU und das Vereinigte Königreich ist nun ein Drittland. Es werden keine Quoten für den Warenhandel eingeführt und keine Zölle, sofern die Ursprungsregeln eingehalten werden. Das TCA hat den Vorteil, dass Lieferketten erhalten bleiben, aber die Ursprungsregeln treffen die Unternehmen in Großbritannien anders und härter als in der EU.

Diese Asymmetrie tritt jetzt zutage, ein Detail, das von den Politikern bequemerweise übersehen wird. Es wird Kontrollen an den Grenzen geben, die Verzögerungen und Kosten verursachen werden, und diese könnten von einigen Sektoren stärker zu spüren sein als von anderen. So zum Beispiel im Agrar- und Lebensmittelsektor, in welchem es im Vereinigten Königreich den Trend gibt, von den EU-Pflanzenschutzstandards abzuweichen, der diese Kontrollen, gekoppelt mit den erforderlichen Gesundheitszerkifikaten, besonders störend machen kann.

Das Vereinigte Königreich hat auch die EU-Mehrwertsteuerzone verlassen, was bedeutet, dass sie nun dort erhoben werden muss, wo der Verkauf stattfindet, und nicht am Ort der Einfuhr. Ein neues Mehrwertsteuersystem, das im Juli dieses Jahres in der EU in Kraft tritt, kann jedoch hilfreich sein, da sich britische Unternehmen nur noch einmal für den gesamten Binnenmarkt registrieren lassen müssen.

In einer sich rasch digitalisierenden Wirtschaft und Gesellschaft sind Daten ein wichtiges wirtschaftliches Instrument. Aber das TCA schafft hier nicht viel Klarheit. Es zielt darauf ab, den Datenfluss über den Ärmelkanal aufrechtzuerhalten, aber die EU hat noch nicht entschieden, ob sie die britischen Datenschutzvorkehrungen für angemessen hält, und Regeln zur Speicherung und Verarbeitung von Daten werden für später offen gelassen. Man kann davon ausgehen, dass die EU darauf bestehen wird, dass das Vereinigte Königreich weiterhin seine hohen Datenschutzstandards anwendet; sollte es versuchen, sich in Richtung lockererer, z.B. US-amerikanischer Regeln zu bewegen, könnte dies ein weiteres Fass des Misstrauens und der gegenseitigen Beschuldigungen mit allen möglichen wirtschaftlichen Folgen aufmachen.

Das ist noch nicht alles. Geschäftsreisende werden bald bemerken, dass sie das Ausland betreten und nun ein Visum benötigen, wenn sie länger als 90 Tage bleiben, ein selbständiger Anbieter von Dienstleistungen sind oder ein Haustier mitbringen. Da aber britische Berufsabschlüsse in der EU nicht mehr automatisch anerkannt werden, dürfte dies weniger Menschen betreffen.

Noch beunruhigender für alle, die immer noch versucht sind, das Vereinigte Königreich zu verlassen, sei es aus geschäftlichen oder privaten Gründen, ist, dass die europäischen Krankenversicherungskarten nur bis zum Ablaufdatum gültig sind und dass das Telefonieren mit Ihrem Gesprächspartner auf dem Kontinent oder Ihrer Familie zu Hause Roaming-Gebühren mit sich bringt. Wenn man hofft, sich nach all dem ein wenig entspannen zu können, sollte man bedenken, dass der Austritt Großbritanniens aus dem Binnenmarkt auch digitale Dienstleistungen einschließt und das Online-Ansehen von grenzüberschreitenden Inhalten bald ein Thema werden könnte.

Die Diskussionen über Finanzdienstleistungen gehen weiter. Für März wurde eine Frist gesetzt, um den britischen Finanzdienstleistern sogenannte Gleichwertigkeitsrechte zu gewähren. Ohne diese müssten sie in jedem einzelnen EU-Mitgliedsstaat, in dem sie tätig werden wollen, eine Genehmigung einholen, daher der Ansturm auf eine Niederlassung innerhalb der EU. Im Moment sind diese im Vergleich zu den Geschäften in der City of London eher unbedeutend, aber was wird passieren, wenn die EU-Währungskooperation voranschreitet? Es ist unwahrscheinlich, dass die Regierungen des Kontinents es gerne sehen, wenn lukrative Märkte in ein Drittland abwandern, wie z.B. der Markt für grüne Anleihen, den die EU mit ihrem "Green Deal" sicherlich ankurbeln möchte.

Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen

Das Tüpfelchen auf dem i des TCA ist wohl sein Streitbeilegungsteil. Das Vereinigte Königreich wollte nicht mehr dem Europäischen Gerichtshof unterworfen werden, und das hat es erreicht. Um die sicherlich vielen Streitigkeiten zu lösen, die über die Auslegung von britischem oder EU-Recht entstehen werden, wird ein spezielles Schiedsgericht eingerichtet, oder man verweist auf die WTO. Der EuGH hat im Laufe der Jahre die höchste Autorität in Rechtsfragen erlangt, über die nationalen Verfassungsgerichte hinaus. Es wird eine Frage der Zeit sein, bis diese Streitschlichtungsregelung mit dem EuGH kollidiert.

Das Thema geht an die Wurzel des unguten Verhältnisses Großbritanniens zur EU: sein unterschiedliches Konzept von Rechtsstaatlichkeit. Die gleiche Ambivalenz zeigt sich auch mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der Versuch der britischen Regierung, ein früheres, später zurückgezogenes Schlüsselabkommen mit der EU aufzukündigen, zeigt vielen auf dem Kontinent, dass es keinen Grund für Vertrauen gibt. Der Streit um den Status des EU-Botschafters in Großbritannien und viele andere kleinliche Aktionen aus dem Brexit-Handbuch untergraben die Basis für künftige Verhandlungen und für die Streitschlichtung weiter. Der großspurig benannte Partnerschaftsrat wird wahrscheinlich eine lahme Ente oder ein Debattierclub sein, nicht einer, der eine einseitig abgebrochene Wirtschaftsbeziehung wieder aufbaut.

Ein viel übersehener Nebeneffekt wird der Verlust von Soft Power für Großbritannien sein, nicht nur auf dem Kontinent, sondern weltweit. Je mehr Daten über die wirtschaftlichen Kosten verfügbar werden, desto mehr wird dies die Einstellungen der Menschen und die Strategien von Regierungen und Unternehmen gleichermaßen beeinflussen. Für Großbritannien ist dies keine Rückkehr in die Zeit vor der Mitgliedschaft: Die Geopolitik ist heute anders als in den 1970er Jahren, ebenso wie die EU mit 27 Mitgliedern, die zusammenhalten, und sicherlich sind die internationalen Liefer- und Vertriebsketten der Unternehmen nicht mit denen von vor 50 Jahren zu vergleichen. Es mag sich zum Guten wenden, aber im Moment deutet alles auf das Gegenteil hin. Die Unternehmen sollten besser anfangen, gründlich über ihre Strategie und ihren Handel nachzudenken.

Dr. Stefan Schepers

Dr. Stefan Schepers ist Gastprofessor für Europastudien an der Henley Business School und Generalsekretär der Arbeitsgruppen für Innovation in der EU-Politik.